Aus Győr für die Welt: Diesen leidenschaftlichen Anspruch hören wir schon zur Begrüßung von Zoltán Les, Vorstand Produktion Fahrzeuge – und nur wenig später nimmt dieses Motto vor unseren Augen automobile Gestalt an. Denn alle 100 Sekunden rollt hier ein Auto vom Band. Auf Jahressicht sind das beeindruckende 160.000 Fahrzeuge. Tag für Tag rechnerisch 770 Autos, darunter 140 Plug-in-Hybrid-Modelle.
Wir befinden uns in der Fahrzeugmontage, genauer in der Fahrzeugabnahme. Hier geschieht die Qualitätskontrolle, letzte Station jedes Autos der Audi Hungaria. Doch gehen wir noch einmal ganz an den Anfang.
Mehr sein – mehr geben
Die Frage drängt sich auf: Was haben ein Segelweltmeister und Audi Hungaria gemeinsam? Die Antwort ist die Agilität – genauer gesagt die Fähigkeit zum Wandel, zur Entwicklung.
Das Gebäude G70 ist unser Ausgangspunkt. In der Aula stehen zwei Fahrzeuge als greifbare Belege der Elektromobilität, die Gegenwart und Zukunft des Unternehmens bestimmen: ein flammend roter, elektrisch angetriebener Audi e-tron GT, dessen Karosserieelemente vollständig im hiesigen Werkzeugbau entstehen – und eben der schon oben genannte lupenreine Győrer, unser Audi Q3 PHEV.
Zoltán Les umschreibt die Herausforderungen des neuen Vorsprungs durch Technik – und wie Audi Hungaria sie meistert: „In unserer Branche gehört die Umstellung auf die Elektromobilität mittelfristig zu den größten Herausforderungen. Deren Ausmaße und Geschwindigkeit sowie der Zeitraum der vollständigen Transformation lassen sich aufgrund verschiedenster Faktoren, zum Beispiel vor allem der Kundenbedürfnisse und der Änderungen der Rahmenbedingungen oder der Versorgung mit den in unseren Alltag eingekehrten Chips, nur schwer voraussagen. Die parallele Entwicklung von Verbrennungsmotoren und Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb erfordert enorme Ressourcen – dies wirtschaftlich rentabel umzusetzen ist eine herausragende Aufgabenstellung der nächsten fünf bis 15 Jahre. Obgleich wir unser Produktionsprogramm wegen der Chipversorgung oder eher den Lieferengpässen bei den Halbleitern wöchentlich neu planen müssen, nimmt das keinen Einfluss auf die mittelfristige Transformation. Hinsichtlich der individuellen Mobilität sehen wir derzeit keine Alternative zur Elektromobilität. Die Bedürfnisse der Kunden verlangen uns eine hochgradige Komplexität ab, die höchste Flexibilität voraussetzt: Aktuell bauen wir vier Modelle und deren Varianten in Győr, Verbrennungsmotoren und elektrische Antriebe, sind also bereit für die Zukunft.“ Ein sportliche Herausforderung – für einen leidenschaftlichen Sportler. Zoltán Les ist ein ambitionierter Läufer, fährt Rad, nimmt an Triathlon-Wettbewerben teil und paddelt im Drachenboot-Team der Audi Hungaria.
"Die Bedürfnisse der Kunden verlangen uns hochgradige Komplexität ab: Aktuell bauen wir vier Modelle und deren Varianten in Győr, Verbrennungsmotoren und elektrische Antriebe. Wir sind bereit für die Zukunft."
Zoltán Les
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, postiert er sich neben dem e-tron GT. Intuitiv fühlt sich auch der Segelsportler zu dem Prachtstück hingezogen. Zsombor Berecz streichelt das Automobil geradezu mit seinen Blicken und Händen. Dieser e-tron GT kann den Spitzensportler Zsombor schon entzücken, auch wenn sein Leben gerade an einem Wendepunkt angelangt ist: Bald kommt sein drittes Kind zur Welt. Autos sieht er darum inzwischen mit einem kritischeren Blick als einst – praktische Eigenschaften treten bei dem Familienvater in den Vordergrund. Da müssen Kindersitze und seine persönlichen Sachen ebenso Platz finden wie eine Angelausrüstung. Auch Zsombor befindet sich eben in der Phase des persönlichen Wandels. „Ich werde auch weiterhin Wettkämpfe bestreiten, aber nicht mehr auf dem ganz hohen Niveau und in dieser Intensität. 260 Tage im Jahr fern von der Familie – das geht einfach nicht mehr. Schon allein deshalb, weil ich in Kürze von meiner Frau die Führung des Segel-Vereins „Procelero“ in Csopak übernehme.“ Zsombor hat aber auch da neue, ehrgeizige Ziele: „Wir legen gerade die Grundlagen für eine Einrichtung, wo wir uns in angemessener Weise mit dem Nachwuchs beschäftigen können. Mein Ziel lautet, das Wissen weiterzugeben, das ich über lange Jahre persönlich und im Team ansammeln konnte.“
Missionen
Wir gehen hinüber zum Werkzeugbau. Hier werden Karosserieelemente für sämtliche exklusiven Modelle des Volkswagen- und des Audi Konzerns gefertigt: für den e-tron GT, den Lamborghini Huracán, den Aventador und den Urus, aber bald auch für den Bentley Bentayga. Alles entscheidend sind hier also Kompetenz und Erfüllung der Kundenbedürfnisse.
Unser Blick bleibt am Roboter in seiner Fertigungszelle haften. Dort entsteht gerade ein Kotflügel für den e-tron GT. Diese Roboterzelle ist ferngesteuert – abgesehen von der Weiterleitung des Produkts ist alles automatisiert; sogar das Werkzeug für den nächsten Arbeitsschritt tauscht die Maschine eigenständig aus.
„Diese Roboter haben wir hier vor Ort geplant“, erzählt Zoltán. Zsombor zollt seine Anerkennung und merkt an, auch ihn motivieren die Herausforderungen: nicht nur im Wettkampf, sondern ebenso in der täglichen Arbeit, wie beispielsweise dem künftigen Segelunterricht: „Genau das habe ich für mich gesucht: Wem soll ich meinen Erfahrungsschatz vermitteln, und wie soll ich das anstellen? Also ließ ich meine eigene Karriere Revue passieren und die jener Sportkameraden, die herausragende Ergebnisse im Segeln erzielen konnten. Uns allen ist gemein, dass niemand einen Haufen Geld von den Eltern als Startgeld bekam: Wir haben uns den Erfolg im Schweiße unseres Angesichts erstritten. Wer den Sport in seinem Leben als Chance auffasst, kann nach Höherem streben. Deshalb möchte ich die Dörfer rund um den Balaton aufsuchen und dort mit Sportlehrern und Eltern ins Gespräch kommen. Talentierte Kinder, die sich den Segelsport nicht leisten können, sollen ihre Chance erhalten. Wir wollen ungefähr zehn bis 15 sozial schwächere Kinder für das Segelprogramm auswählen – die aber in der Schule gute Leistungen zeigen müssen.“ Wer diesen Anforderungen nicht entspricht, scheidet aus dem Programm aus.“ Das Ziel, so Zsombor: „Grundlegend möchten wir den Kindern ein Lebensziel vorgeben, denn längst ist das Segeln auch in Ungarn reif dafür, eine langfristige Profikarriere zu offerieren“, meint Zsombor.
„So wie das Segeln Deine Leidenschaft ist, sind es für uns die Autos“, zieht Zoltán eine weitere Parallele. Ein Gedankengang, der natürlich noch eine vielfältige Fortsetzung finden wird. Aber dazu später mehr. Erst einmal sind wir an einem neuen Ort angelangt.
Leidenschaft = extra Schubkraft
Im Werkzeugbau ist der Lichttunnel unsere nächste Station. In der lichtdurchströmten Kapelle der Oberflächenprüfung geraten wir in die Kontrolle der Qualitätssicherung für Vordertür und Kotflügel eines e-tron GT. Dort gibt es keinen Fehler der Oberfläche, der im Verborgenen bleiben würde. Alles geschieht mit strengster Präzision: Jede Bewegung ist genau festgelegt, ebenso wie Größe und Körnung des Steins, mit dem das betreffende Anbauteil bearbeitet wird.
"Mein Ziel lautet, das Wissen weiterzugeben, das ich über lange Jahre persönlich und im Team ansammeln konnte."
Zsombor Berecz
Wir werfen noch einen kurzen Blick auf jene Kabine, in der die Festigkeit des Anbauteils und der Bindetechnologie geprüft wird. Dann wenden wir uns wieder unserem Thema Leidenschaft zu.
„Im Gegensatz zu Kompetenzen lassen sich innere Motivation und Leidenschaft nicht herausbilden und nur schwer entwickeln“, sagt Zoltán, während er über die Türfläche eines e-tron GT streicht.
Jeder Tag können neue Situationen entstehen: Seiten- oder Gegenwind, sich auftürmende Hindernisse, egal, was – ausschließlich unsere Kompetenzen, Unsere Leidenschaft und innere Motivation lassen uns all diese Herausforderungen bewältigen. Ein Unternehmen benötigt die gleichen Kompetenzen, über die Individualsportler verfügen. Denn die Erfolgskomponenten sind identisch: Zielstrebigkeit, Ideen, Arbeit, Ausdauer und Kooperation mit dem Team. Natürlich bleibt die Frage, wer was mit dem starken Wind anfängt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Zsombor fasste den stürmischen Wind bei der Weltmeisterschaft 2018 in Dännemark, den er mutig in die Segel strömen ließ, als Chance auf. Die Goldmedaille war der Lohn für diese Einstellung.
An diesen Gedanken schließt der Meistersegler gern an: „Solange mein Wettbewerbskalender nicht ausgefüllt war und mir das stabile Hinterland fehlte, wurde ich immer wieder von Zweifeln geplagt. Die zeigte ich aber nie nach außen hin; stattdessen konzentrierte ich mich einfach hartnäckig auf meine Aufgabe. Dass mich meine Teamkameraden so unerschütterlich und selbstbewusst sahen, bestärkte sie – und ließ sie ihre Arbeit mit einem festen Glauben verrichten, der wiederum auch meine Zweifel wegspülte“, verweist Zsombor auf den spannenden Kreislauf von Ursache und Wirkung.
In Bezug auf die Teamdynamik finden die beiden schnell einen gemeinsamen Nenner.
„Du kommst nur dann voran, wenn du deine Mannschaft überzeugen kannst, dass du auch selbst glaubst, was du vertrittst. Nur so bist du glaubwürdig – eine der wichtigsten Eigenschaften von Führungskräften“, erklärt Zoltán, während wir uns der Fahrzeugmontage nähern.
Unzertrennlich
Die Bezeichnung „Hochzeit“ spricht für sich. Innerhalb der Fahrzeugmontage werden hier Karosserie und Fahrwerk zusammengeschweißt. Dabei spielen zwar Roboter die Hauptrolle, aber rundherum sind auch Mitarbeitende emsig beschäftigt, die auch die Arbeit der Roboter überwachen.
Zsombor erzählt dabei mehr zu den Hintergründen seines Teil-Rücktrittes: das dritte Kind, das bald sein Leben bereichert, aber auch der Umstand, dass die für ihn mit den größten Erfolgen verbundene Disziplin Finn aus dem Programm der olympischen Segelwettbewerbe gestrichen wurde. Wir entdecken bei diesen Worten weitere Parallelen – in Sachen Zeit und Timing.
"Ein Unternehmen benötigt die gleichen Kompetenzen, über die Individualsportler verfügen, denn die Erfolgskomponenten sind identisch: Zielstrebigkeit, Ideen, Arbeit, Ausdauer und Kooperation mit dem Team."
Zoltán Les
Der richtige Zeitpunkt ist eben wichtig: Die Audi Hungaria beschreitet seit 2018 den Weg der Elektromobilität, der mit dem Start der Serienfertigung für Elektroantriebe in Győr seinen Anfang nahm. Die folgenden Stationen auf diesem Weg waren die ersten Mild-Hybrid-Modelle mit elektrischem Antriebsstrang sowie ab 2020 die Serienfertigung für Plug-in-Hybrid-Modelle.
„Wirklich erfolgreich sind wir dann, wenn wir einen Neuanlauf so bewerkstelligen können, dass die Fertigung gar nichts davon bemerkt, weil wir die neuen Prozesse für den betreffenden Antrieb optimiert in das vorhandene Fertigungssystem integriert haben. Beim PHEV gelang dies problemlos, das heißt, wir bauen diese Autos an der gleichen Fertigungslinie, wie unsere früheren Produkte“, erläutert Zoltán.
Dabei galt es, Herausforderungen in Hülle und Fülle zu stemmen. Abgesehen vom Neuanlauf mussten die Kompetenzen der Mitarbeitenden entwickelt werden, um sie auf die Veränderungen und die Erweiterung der Produktion vorzubereiten. In den Plug-in-Hybrid-Modellen liegt eine Systemspannung von 384 Volt an; den Umgang damit mussten die Mitarbeitenden des Unternehmens erst erlernen: An einem mehrstufigen Schulungsprozess nahmen 1.500 von ihnen teil. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Projektarbeit in Győr rund 33 Monate vorher begann. Erst am Ende dieses akribischen Vorbereitungsprozesses, als Resultat einer professionellen Teamarbeit, konnte die Starttaste mit der Aufschrift „PHEV“ gedrückt werden.
Zsombor traf seine Entscheidungen ebenso wenig aus dem Augenblick heraus – weder jetzt noch 2013, als er im Segelsport von der Laser-Klasse zum Finn-Dinghy wechselte. „Ich musste genau abwägen, was die Zukunft bringen kann. Im Sport lässt sich praktisch alles modellieren und messen. Selbst Gefühle und Neigungen. Im Jahre 2013 traf ich meine Entscheidung gestützt auf simple Indikatoren. Ich wiege bei 1,96 Meter Körpergröße 82 Kilogramm, mit einem Fettanteil von drei Prozent – auf lange Sicht hätte ich in der Laser-Klasse nicht ein ums andere Mal perfekte Leistungen abrufen können, weil mein Körperaufbau keine Reserven hergab. Deshalb bot sich der Wechsel zur nächsthöheren Klasse Finn-Dinghy an. Ob ich diesen Schritt eher hätte wagen sollen? Ich bin überzeugt, dass dies mein vorgezeichneter Weg war, den ich zu Ende gehen musste.“
Und wie verlief dieser Weg? Häufig stürmisch, auch wenn Zsombor sich bei der Weltmeisterschaft 2008 in Australien – damals noch in der Laser-Klasse – selbst überraschen konnte: Damals erreichte er, aus dem Nichts kommend, die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking. Seither sieht er sich selbst als Hochleistungssportler. Aber auch so mussten noch acht Jahre harter Arbeit verstreichen, bis sein Programm mit den Sponsoren und dem Team so in Einklang gelangte, um in den Medaillenkampf bei den Olympischen Spielen eingreifen zu können – was sich schließlich in Tokio im Sommer 2021 auszahlen sollte.
Aus Győr für die Welt
Wir sind am letzten Punkt unseres Werkrundgangs angelangt.
Fahrzeugmontage, Abnahme, Qualitätskontrolle.
Neben vielen anderen Fahrzeugen steht ein graues PHEV-Modell mit dem Lenkrad auf der rechten Seite; ein japanischer Kunde freut sich darauf. Es wird von den Mitarbeitenden der Qualitätssicherung mit kritischen Augen begutachtet. Nur dann kann es für gut befunden werden. Jedes Fahrzeug, das bei uns von der Fertigungslinie rollt, wird auf Bestellung, nach individuellen Kundenbedürfnissen produziert.
Zsombor betrachtet lange dieses Auto. „Beim Fahren kommt uns hin und wieder die Routine zugute – wie im Segelsport. Auf Ampelkreuzungen mit mehreren Fahrspuren etwa ziehe ich mit meinem Pkw in die rechte Außenspur, die häufig völlig leer ist, um von dort mit einem Blitzstart die Fahrzeuge in den anderen Spuren abzuhängen – wie beim Wettkampf“, meint er lächelnd. Schon sind wir wieder gedanklich beim Zählen.
Als wir bei 100 angelangt sind, rollt bereits das nächste Auto vom Band.
"Aus Győr für die Welt."